Samstag, 9. September, 2017 (Anreisetag) bis Samstag, 16. September 2017 (Abreisetag)
Arbeitssprachen: Deutsch und Englisch
In klassischen Theorien der Mechanismen sozialer Kognition wurde postuliert, dass handelnde Personen auf der Basis komplexer Modelle miteinander interagieren, die explizite Hypothesen bezüglich der Motive, Handlungsintentionen und Einstellungen anderer Personen enthalten (sog. “Theory of Mind”). Dies wurde auch als die “Zuschauertheorie” der sozialen Kognition bezeichnet, da der sozial Handelnde hier als ein Beobachter verstanden wird, der aus einem distanzierten Blickwinkel Hypothesen aufstellt, Schlussfolgerungen zieht und Theorien bildet. In der Akademie möchten wir soziale Kognition aus einer alternativen Perspektive betrachten, die sich in der aktuellen Diskussion zunehmend durchsetzt. Diese alternative Sichtweise nimmt an, dass auch komplexe Formen der sozialen Interaktion auf der Basis sensomotorischer Kopplungsmuster entstehen, die eine dynamische Wechselwirkung der Handelnden ermöglichen. Dieser Ansicht zufolge ist die interpersonale Koordinationsdynamik von fundamentaler Bedeutung für das Erlernen erfolgreicher sozialer Interaktion und Kommunikation und bildet die Grundlage für komplexe soziale Phänomene wie Empathie, geteilte Aufmerksamkeit oder gemeinsame Handlungsabsichten. Eine zentrale Rolle hierbei spielen auch das Lernen und die Beherrschung von Handlungs-Wirkungs-Kontingenzen, die implizite Vorhersagen von Handlungen ermöglichen. Dieses koordinationsdynamische Modell der sozialen Kognition wird bereits durch zahlreiche Ergebnisse der Sozial-, Kognitions- und Neurowissenschaften gestützt. Möglicherweise könnten die durch dieses Modell beschriebenen Mechanismen auch dazu dienen, um Roboter sozial kompetenter zu machen und Mensch-Maschine-Interaktionen intuitiver und verständlicher zu gestalten. In der Akademie möchten wir diesen neuen Ansatz für das Verständnis und die Modellierung von Sozialverhalten diskutieren und mögliche Anwendungen betrachten. Folgende Themen sollen in der Arbeitsgruppe diskutiert werden: (1) neuronale und kognitive Mechanismen der sensomotorischen Kopplung und der Vorhersage von Handlungen im sozialen Kontext; (2) Grundlagen sozialer Interaktionen zwischen Menschen sowie zwischen Robotern und Menschen; (3) Modelle zur Koordinationsdynamik aus der Informationstheorie und Neuroinformatik; (4) Anwendungen im Bereich der Steuerung von humanoiden Robotern; (5) Anwendung im Bereich von Erkrankungen, die mit Einschränkungen des Sozialverhaltens einhergehen (z.B. Autismus-Spektrum-Störungen).
Leitung: Prof. Dr. Andreas Engel, Institut für Neurophysiologie und Pathophysiologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, DE
Prof. Dr. Peter König, Institut für Kognitionswissenschaft, Universität Osnabrück, DE
Externe Referenten zu den oben angedeuteten Themenkreisen werden beigezogen.
Teilnehmende: Studierende der Kognitions- und Neurowissenschaften, Psychologie, Biologie, Medizin, Physik, Informatik, Philosophie
Literatur:
Carruthers P, Smith PK (1996) Theories of Theories of Mind. Cambridge Univ. Press, Cambridge, UK
Di Paolo E, De Jaegher H (2012) The interactive brain hypothesis. Frontiers in Human Neuroscience 6: 163
Engel AK, Maye A, Kurthen M, König P (2013) Where’s the action? The pragmatic turn in cognitive science. Trends in Cognitive Sciences 17: 202–209
Hasson U, Ghazanfar AA, Galantucci B, Garrod S, Keysers C (2012) Brain-to-brain coupling: a mechanism for creating and sharing a social world. Trends in Cognitive Sciences 16: 114–121
Keller PE, Novembre G, Hove MJ (2014) Rhythm in joint action: psychological and neurophysiological mechanisms for real-time interpersonal coordination. Philosophical Transactions of the Royal Society London B Biological Sciences 369: 20130394
Keysers C, Gazzola V (2014) Dissociating the ability and propensity for empathy. Trends in Cognitive Sciences 18: 163–166
Sebanz N, Bekkering H, Knoblich G (2006) Joint action: bodies and minds moving together. Trends in Cognitive Sciences 10: 70–76
Schilbach L, Timmermans B, Reddy V, Costall A, Bente G, Schlicht T, Vogeley K (2013) Toward a second-person neuroscience. Behavioral and Brain Sciences 36: 393–414
Skulmowski A, Bunge A, Kaspar K, Pipa G (2013) Forced-choice decision-making in modified trolley dilemma situations: a virtual reality and eye tracking study. Frontiers in Behavioral Neuroscience 8: 426–426
Veranstaltungsort: Centro Evangelico, Magliaso (TI)
Allgemeine Informationen: PDF
Die Sommerakademien in Magliaso werden durch reatch redaktionell begleitet. Redaktoren sind Studienstiftler, die sich in den verschiedenen Arbeitsgruppen von reatch engagieren. Ziel der Kooperation mit reatch ist es, einen besseren Austausch der vier Akademien zu erreichen und einen nachhaltigen Mehrwert für Teilnehmer und Öffentlichkeit zu schaffen. Ein Journal in Form eines internen Blogs bietet den Teilnehmern die Möglichkeit, sich über die anderen Akademien zu informieren und Gedanken, Ideen und Diskussionen zu teilen. Nach Abschluss der Akademien ist geplant, die Inhalte der Akademien in Form von publizierbaren Beiträgen (Berichten, Blog-Einträge etc.) festzuhalten und einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.