Etwas ausserhalb von Lugano, direkt gegenüber dem Stadio di Cornaredo, stehen zwei unscheinbar wirkende Gebäude: Vorgelagert erhebt sich ein modernes Bürogebäude mit steril wirkender Glasfront. Gleich dahinter drängt sich eine massive graue Lagerhalle ohne Fenster, dafür mit mehreren Überwachungskameras. Was in diesen zwei Bauten steckt, ist bedeutsamer, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Sie beherbergen nämlich das von der ETH Zürich betriebene «Swiss National Supercomputing Centre», zu Deutsch: nationales Hochleistungsrechenzentrum.
Ein unscheinbares Kraftpaket
Dieses Rechenzentrum ist Ziel einer Gruppe von Studierenden, die im Tessin an der einwöchigen Sommerakademie «Digital Societies» der Schweizerischen Studienstiftung teilnehmen. Nach einer kurzen Fahrt mit Bus und Bahn stehen wir auch schon vor dem Eingang und werden ohne grosses Prozedere eingelassen.
«Ich hätte höhere Sicherheitsvorkehrungen erwartet», meint dann auch einer der Besucher. «So wenige physische Sicherheitsmassnahmen – keine Scanner oder dergleichen.» Kurz darauf werden wir in den Besucherraum geführt, wo uns Michele De Lorenzi herzlich empfängt. Der Vizedirektor des Rechenzentrums beantwortet unsere Fragen mit viel Charme und Selbstsicherheit. Man merkt: Wir sind nicht die ersten, die das Rechenzentrum besuchen.
Das Rechenzentrum in Lugano ist vor allem für Schweizer Wissenschaftler*innen eine wichtige Stütze in ihrer Arbeit. Viele Computersimulationen zu Forschungszwecken oder zum Beispiel für Wettervorhersagen brauchen eine enorme Rechenleistung – und die liefern die Supercomputer in Lugano. Zur Illustration: Für die Berechnungen, die das Supercomputing Centre in einer Sekunde bewältigt, bräuchte ein herkömmlicher Computer einen ganzen Tag.
Um diese Rechenleistung nutzen zu dürfen, müssen sich die meisten Forschenden einem harten wissenschaftlichen Wettbewerb stellen: Externe Experten wählen aus, wer die kostbare Rechenleistung der Supercomputer anzapfen darf. Einige Institutionen profitieren jedoch dauerhaft von der geballten Rechenleistung der Luganer Supercomputer. Zum Beispiel werden die Daten für MeteoSwiss, mit denen das Wetter möglichst präzise vorausgesagt werden soll, in Lugano verarbeitet. Auch die Daten aus dem CERN-Teilchenbeschleuniger finden ihren Weg ins Tessin.
Kalt und laut
Nach der Einführung geht es endlich zur Sache. Wir machen uns auf den Weg zur Halle, wo die Computer stehen. Routiniert führt uns De Lorenzi durch die brummenden Rechentürme. Damit wir trotz des Lärms der Kühlaggregate seinen Ausführungen lauschen können, haben wir alle einen Kopfhörer ausgehändigt bekommen. Doch gegen die Kälte in der Halle können Hörer nichts ausrichten. Das Kühlsystem – bestehend aus kaltem Wasser des Luganersees und Ventilatoren – schafft keine Atmosphäre zum Verweilen. Spannend ist es trotzdem und eindrücklich allemal. Die zahlreichen Drähte und Leuchten weisen auf die emsige, aber unsichtbare Produktivität der Rechner hin und eignen sich hervorragend als Fotomotiv – ja, Fotomotiv. Im Rechenzentrum dürfen wir so viel fotografieren, wie wir wollen. Und hinterlassen an einer eigens dafür aufgehängten Pinnwand gleich selbst ein Gruppenfoto als Erinnerung.
Zurück im Besucherraum rekapitulieren wir das soeben Erlebte. Den meisten hat das Rechenzentrum imponiert. Allerdings wurden nicht alle Erwartungen erfüllt. «Ich habe mir das alles etwas lauter, grösser und heisser vorgestellt – aber eigentlich ein gutes Zeichen; alles scheint unter Kontrolle zu sein.» Bei anderen blieben noch einige Fragen offen: «Ich hätte gerne noch detailliertere Informationen zu Software-Fragen erhalten. Allerdings war der Vize-Direktor für spezifische Technik-Fragen wohl auch etwas die falsche Ansprechperson.»
Nach Abschluss dieses eindrücklichen Nachmittags werden wir wieder nach draussen entlassen. Erneut stehen wir vor dem kühlen Glaspalast mit der benachbarten Lagerhalle. Obwohl einige Fragen offen geblieben sind, wurde uns durch unseren Besuch im Rechenzentrum wieder einmal schmerzlich bewusst, dass die Arbeit mit Daten in unvorstellbar grossen Mengen von den meisten unbemerkt stattfindet. Umso eindrücklicher und lehrreicher ist es, einmal hinter die Kulissen jener Einrichtungen blicken zu können, welche das Rückgrat unserer datengetriebenen Gesellschaft darstellen.
Olivia Meier studiert Germanistik sowie Publizistik und Kommunikationswissenschaften im Master an der Universität Zürich und arbeitet als wissenschaftliche Assistentin am Departement für Angewandte Linguistik der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Sie ist Vorstandsmitglied von reatch und betreut den reatch-Blog.
Der vorliegende Beitrag entstand im Rahmen der Sommerakademie «Digital Societies – Fluch oder Segen?» im Sommer 2018 und wurde redaktionell begleitet von der wissenschaftlichen Ideenschmiede «reatch – research and technology in switzerland». Der Artikel gibt die persönliche Meinung der Autorin wieder und entspricht nicht zwingend derjenigen der Schweizerischen Studienstiftung.